Samstag, 22. September 2012

Fasching und die dritte Klasse

Pünktlich zum Ende der Sommerferien, scheint der Herbst Einzug zu halten. Die Blätter an den Bäumen verfärben sich, irgendwie passend zur Laune von Joel, und unser Alltag ist so durchwachsen wie das Wetter im Moment.

In den vergangenen Monaten hat er sich zunehmend mit anderen Gleichaltrigen verglichen, vor allem im sportlichen Bereich hat er versucht sich zu messen, was ihn meist frustiert hat. Immerhin, seine Kondition ist wesentlich besser, die Strecke bis zur Schule läuft er in der Regel ohne Probleme, und auch zum Spielen rund ums Haus reicht es jetzt gut. Mit den anderen Kindern rennen und mithalten, das geht noch nicht ohne Frust. Dafür konnten wir nach Monaten voller Diskussionen endlich sein Interesse an Ballspielen, insbesondere Fußball, wecken. Manchmal spielt er sogar kurz mit seinem kleinen Neffen oder einem Freund. Das macht mich so stolz! :))

Er hat auch kognitiv einen großen Sprung gemacht, eine Zeitlang viele Fragen über seine Erkrankung und die Klinikzeit gestellt und stundenlang die Fotos aus der Zeit angeschaut. Schließlich hat er eines Tages mit Bestürzen festgestellt, das er tatsächlich hätte sterben können worüber er wochenlang immer wieder bitterlich geweint hat. Überhaupt finde ich, er grübelt viel zu viel, aber das ist wohl bei vielen Kindern nach einer schweren Zeit so.

Auffällig ist auch, das er in den letzten Monaten immer häufiger Dinge tut, die eigentlich in die Kleinkindphase gehören, die er ja so nicht hatte. Vor allem beim Spielen scheint er da enormen Nachholbedarf zu haben. Um dieses Verhalten besser zu verstehen, habe ich ein Buch gelesen, das ich kurz ansprechen möchte: Psychologie des Kinderspiels. Es geht unter anderen darum wie Kinder spielen, was es für sie bedeuted, und welche Spielphasen welche Auswirklungen auf das Leben haben. Ich kann es wirklich sehr empfehlen, auch zur Allgemeinbildung wenn man gesunde Kinder hat.

Bevor wir letztes Jahr nach Sylt geflogen sind, hat seine Ärztin das Thema Magensonde angesprochen, ich hatte es auf Sylt dann erstmal verschoben um zu schauen was sich entwickelt, man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben. Als wir nach unserer Syltreha wieder in der Klinik waren, hat sich zimlich schnell rausgestellt das wir langfristig ohne "Nahrungshilfe" irgendeiner Art nicht weiter kommen. Über den Winter hat er dann das Essen beinahe komplett eingestellt, so dass er an Fasching eine PEG-Sonde bekommen hat. Das heisst er wird seitdem fast ausschließlich künstlich per Flüssignahrung ernährt.
Ich hatte lange Zeit große Bedenken, ob es wirklich gut und richtig ist. Aber nun muss ich sagen: es ist tatsächlich gut, und die Vorteile überwiegen bei weitem! Der Stress ihn zum Essen zu motivieren ist weg, die Sorge dass er nicht genug Nährstoffe hat, ist von mir abgefallen, das tkommt auf jeden Fall uns allen und dem Frieden am Tisch sehr zugute. Es tut uns allen so gut, ihn Essen lassen zu können was, und sowenig er möchte. Und an manchen Tagen überrascht er uns mit "großen" Portionen, die er verdrückt.
Trotz der 1200 - 1500 kcal die er täglich über die Sonde bekommt, nimmt er aber nur langsam zu. Seine Ärztin sagt das uns mit 300 - 500g pro Monat schon sehr geholfen ist, nachdem er 4 Jahre lang sein Gewicht gehalten hat!
Auf jeden Fall ist er seit der Sonde nicht mehr so müde und abgeschlagen, der Mittagsschlaf ist bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft.
 Ein weiteres großes Problem für ihn ist auch, das er mit seinen 8 Jahren und 8 Monaten immernoch ein wahrer Zwerg vor dem Herrn ist: Vor kurzem hat er die 110cm-Marke geknackt. Seit er die Sonde hat, scheint er mehr zu wachsen als davor, und ich bin sehr gespannt auf die Werte der kommenden Nachsorge.

Medizinisch ist fast alles sonst im grünen Bereich, die Thrombozytose scheint nicht mehr weg zu gehen, stört aber keinen weiter, nur die Schilddrüse macht zunehmend Probleme. Eventuell muss er bald ein Präparat dafür nehmen.

"panierte Sandmumie"
In den Pfingstferien sind wir mal wieder spontan nach Ägypten geflogen, und haben uns eine wohlverdiente Auszeit ohne Ärzte und Termine genommen. Dort war Joel zum ersten Mal seit Monaten wieder für einige Tage ruhig und ausgeglichen, ohne tägliche Wutanfälle und all die Dinge, über die er so oft verzweifelt.

In den Sommerferien war er zum ersten Mal für eine Woche alleine auf einem Zeltlager mitten im Wald. Die Organisation war ein großer Aufwand weil er eine Begleitperson brauchte, die ihn versorgt und sondiert, und ihm beim Umgang mit den anderen Kindern ünterstützt. Er hatte hohe Ansprüche an diese Begleitperson: Sie sollte bitte weiblich sein, jung, blond, hübsch und für jeden Scherz zu haben (wenn es nach ihm ginge würde die Welt aus solchen Wesen bestehen...).  Wir hatten großes Glück, Dank des Engagements des Lebenshilfe e.V. Vereins hier vor Ort konnten wir ihm diese speziellen Wünsche erfüllen. So hatte er eine Woche voller Abenteuer im Wald, hat gelernt wie man sich einem Bogen selber baut, im Wald etwas zu Essen findet und vieles mehr. Das Ergebnis war ein Kind mit strahlenden Augen, wie ich sie selten gesehen habe. Soetwas werden wir im nächsten Jahr auf jeden Fall wiederholen.

 Letzte Woche ist er ins dritte Schuljahr gestartet, aber die Begeisterung hält sich in Grenzen. Der Erwartungsdruck an ihn ist mit der dritten Klasse rapide gestiegen ist. Er kann noch immer nicht richtig schreiben, weil die Hand- und Fingergelenke versteift sind und sich immernoch nur eingeschränkt bewegen lassen. Es strengt ihn wahnsinnig an zu schreiben, nach 5 Minuten ist er immer total durchgeschwitzt. Auch hier vergleicht er sich sehr stark mit anderen Kindern, und sieht natürlich dass sie es alle schon viel besser können, was regelmässig Wutanfälle nach sich zieht.
Schulschwimmen steht in diesem Halbjahr auch auf dem Stundenplan, wo schon wieder das nächste Problem wartet: das Nichtschwimmer-Becken ist zu tief, zwei Lehrer mit so vielen Kindern total überlastet, mein Kind nicht "Gruppen-Schwimmunterricht-tauglich", und den Neopren-Anzug allein an- und ausziehen geht auch nicht.... Bis auf weiteres werde ich also mit meinem Kind in dieses Schei*-kalte Wasser steigen.

Ich könnte noch so viel mehr aus unserem Alltag erzählen, aber ich möchte nur noch kurz erwähnen, dass wir nun doch eine Schulbegleitung beantragen, und wir für das Kind psychologische Hilfe in Anspruch genommen haben. Um auf Details einzugehen müsste ich an dieser Stelle zu weit ausholen, das kann und möchte ich nicht. Joel hat einfach zuviel mitgemacht, immernoch sehr viel aufzuarbeiten und Entwicklung in allen Bereichen nachzuholen, wie man nun immer deutlicher in allen Lebensbereichen und an seiner negativen Lebenseinstellung merkt.

Trotz aller Widrigkeiten und kleiner Rückschritte: es gibt immer wieder Lichtblicke, und Joel hat mit seinem Humor zwischen der schlechten Laune einen hohen Unterhaltungswert. Es geht langsam und in kleinen Schritten vorwärts, wir hören nicht auf für ein besseres Leben zu kämpfen.


Dienstag, 24. April 2012

Vorerst letzter Eintrag.

Gesundheit kommt, Gesundheit geht.... so ist das Leben.
Auf ausdrücklichen Wunsch meines Sohnes habe ich mich mit dem bloggen zurück gehalten, und stelle das bloggen an dieser Stelle erstmal ein. Wenn er es sich anders überlegt, kann er selber schreiben.
In herzlicher Erinnerung an alle die bereits vorraus gegangen sind.